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Im Leeren Viertel

Das Leere Viertel ist die größte geschlossene Sandwüste der Welt. Eine Reise durch ihren omanischen Teil.

Der abendliche Wind weht feine Sandkörner heran und vertreibt die Erinnerung an die lähmende Mittagshitze. Ohne Schweißausbrüche lässt sich nun der Gipfel einer Düne erklimmen, wo sich ein atemberaubendes Panorama eröffnet, das sich erst in der aufsteigenden Dunkelheit am Horizont verliert. Genauso überwältigend ist der Gedanke, in dieser Weite der einzige Mensch zu sein. Fast der einzige. Weiter unten stehen auf einer flachen Anhöhe zwei Geländewagen und um sie herum wie Stecknadeln im Sandkasten fünf rotweiße Zelte. Wir sind Mitten in der Rub al-Khali.

Das Leere Viertel
Rub al-Khali - das Leere Viertel - liegt im Zentrum der arabischen Halbinsel. Mehr als zweimal würde die Wüste die Fläche Deutschlands bedecken. Sie umfasst Teile von Saudi Arabien, den Vereinigen Arabischen Emiraten, Jemen und Oman. Doch Landesgrenzen spielen hier kaum eine Rolle. Bis weit ins 20. Jahrhundert war das Leere Viertel ein unwirtliches Territorium, wo sich die Macht der Sultane und der europäischen Kolonisatoren im Sand verlor. Es war die Heimat der Beduinen, die ihre Heimat schlicht ar-Rimal, die Sande, nannten. Erst zwischen 1945 und 1950 durchquerte der Brite Wilfred Thesiger als einer der ersten Europäer die Rub al-Khali mehrere Male. Er vertraute sich dabei der Führung der Beduinen an. Physische Strapazen und Scharmützel zwischen verfeindeten Stämmen machten diese Reisen zu einem monatelangen und gefährlichen Unternehmen, doch schrieb Thesiger: "Dieses grausame Land kann einen Zauber ausüben, dem ein gemäßigtes Klima nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hat." Nostalgisch notierte er in seinem Bericht die Veränderungen, die die Zivilisation der Wüste und den Beduinen brachte. Auf den für die Ölfirmen gebauten Pisten konnte man die Stecke von Maskat im Norden bis zum südlichen Zentrum Salalah bald in einem Tag zurücklegen. Doch Touristen gab es in der Rub al-Khali, wie im gesamten Oman, für weitere dreißig Jahre keine. 

Die Stadt zwischen Tradition und Moderne
Erst Sultan Qaboos, der seit 1970 an der Macht ist, hat sein Land in den letzten Jahren geöffnet. Gezielt fördert er einen sanften Tourismus. So wollen wir erkunden, wie sich die Wüste seit Thesigers Zeiten verändert hat. Von einem Reiseveranstalter haben wir uns eine individuelle Reise zusammenstellen lassen und reisen zu sechst. 
Der kleine Flughafen von Maskat wirkt verschlafen, doch die Hauptstadt entpuppt sich als ein geschäftiges Konglomerat aus mehreren ursprünglich eigenständigen Orten, die durch Schnellstrassen verbunden sind. Unverhofft tauchen im weitläufigen Stadtgebiet karge Berge auf oder man sieht zwischen den Häusern das leuchtend blaue Meer. Im Bustaxi fährt man von Stadtviertel zu Stadtviertel, vorbei an weißen Villen und modernen, bunt beleuchteten Einkaufszentren. Kaum ein Bau ist alt in Maskat. Die vom Sultan eingeleitete Modernisierung des Landes sieht man hier an jeder Ecke. Ebenso den Wohlstand, für den Qaboos durch die geschickte Verteilung der Petrodollars gesorgt hat. "He's a very good Sultan", meint sogar der Taxifahrer und scheint es auch so zu meinen. Die Omani sind sichtbar stolz auf ihr Land und ihre Traditionen. Die Männer tragen durchwegs die dishdasha, ein bodenlanges weißes Gewand. Im ihrem Gürtel steckt manchmal noch der khanjar, der traditionelle Krummdolch - und daneben das Handy. "Welcome to Oman" rufen die sonst eher zurückhaltenden Hauptstädter den Vorbeigehenden zu. Böse Blicke oder Aggressionen gibt es keine: Oman ist immer noch ein sehr sicheres Reiseland. Trotzdem brach auch hier der Tourismus nach dem 11. September fast vollständig zusammen.
In Maskat können wir uns an das feucht-heiße Klima gewöhnen und treffen unseren deutschen Reiseleiter Peter und Musallim, den Beduinen, der uns durch die Wüste führen wird. Musallim ist ein Angehöriger der mahri, ein Stamm, der im Süden Omans lebt, doch durch seinen Job als Grenzpatrouilleur zwischen Oman und Saudi Arabien kennt er das ganze Gebiet bestens. Er ist äusserst polyglott und spricht neben mahri-Dialekt und Arabisch auch Englisch, Deutsch, etwas Französisch und ein paar Brocken Italienisch: "Mamma mia" heißt es dann, wenn der Sand besonders schön ist. Allein empfiehlt sich eine Erkundung des schwer zu befahrenden und sich ständig verändernden Wüstenterrains auch heute nicht. Statt mit Kamelen werden wir, wie heute üblich, mit zwei Toyota-Geländewagen unterwegs sein. Die Route führt ausgehend von Ibri im Gebiet der omanisch-saudischen Grenze nach Süden. Ungefähr 600 km Luftlinie, zum Teil Piste, ein großer Teil jedoch Offroad.

Die erste Nacht
Je weiter wir uns von der Hauptstadt entfernen, desto dünner wird der Verkehr. Südlich von Ibri tauchen in der Steinschotterlandschaft die ersten Sandhügel auf. Bald suchen wir uns einen Rastplatz auf dem Plateau einer Düne. Mit Plastikperserteppichen und Kissen richten wir einen Ess- und Schlafplatz ein. Die, die nicht im Freien schlafen wollen, stellen ihre Zelte im Halbkreis darum herum auf. Wir suchen Holz für ein Feuer, auf dem Musallim Tee mit Thymian, Ingwer und einer Unmenge von Zucker kocht. Um sechs wird es dunkel. Nach dem Essen sitzen wir um das Feuer, betrachten den riesigen Vollmond und lauschen in die vollkommene Stille; nicht einmal Tiere hört man, sieht nur ab und zu schwarze Skarabäen vorbeikrabbeln. Bettzeit ist in der Wüste spätestens um zehn. Alles Wasser, das wir brauchen, führen wir auf vier Kanistern auf dem Dach mit. Hygiene ist Luxus, so machen wir Katzenwäsche. Nachdem eines Abends beim Zähneputzen eine 15 cm große, wenn auch nicht giftige Kamelspinne meinen Weg gekreuzt hat, beschließe ich, auch dieses Ritual am Abend eher kurz zu halten.

Unterwegs
Weiter Richtung Süden. Wir fahren und schauen, schauen und fahren und erreichen die Umm as-Samim. Die "Mutter des Giftes" ist eine Salz- und Treibsandwüste und einer der bedrohlichsten Teile der Rub al-Khali. Wir fahren auf der Piste und beäugen ängstlich und fasziniert die danebenliegende verkrustete Fläche, auf der kein Busch und kein Halm wächst. Peter erzählt, dass Ölgesellschaften hier schon Material im Wert von Millionen verloren haben. Einfach im Sand versunken. 
Eine der größten Überraschungen der Wüste ist ihre Vielfalt. Mit jedem Tag hat die Landschaft ein neues Gesicht und der Sand eine andere Farbe: ocker, beige, gelblich, weiß. Manchmal fahren wir durch breite Salzebenen, sabkha genannt, und sehen die imposanten 200 Meter hohen Dünen nur von weitem. Manche Dünen mit ausgedorrten Büschen, ghaf, eignen sich bestens zum Dune-Riding, eine Spezialität von Musallim, der unermüdlich im Gelände herumkurven mag. Tückisch dagegen sind die hübschen kleinen Sandhügel, da bleiben die Wagen gerne stecken und dann heißt es schieben.
Zwar hat es auf den Pisten viele Reifenspuren, die zeigen, dass wir nicht die einzigen sind, die hier unterwegs sind, doch treffen wir nur ein einziges Mal in sechs Tagen auf ein anderes Auto. Menschen zu treffen ist in der Wüste jedoch nicht unmöglich, man muss sie nur lange suchen. Leere Kanister und Plastikflaschen sind Zeichen für ehemalige Lager der Beduinen. Beim Besuch bei den Beduinen folgt schnell die Einladung zu Kaffee, Datteln und Kamelmilch. Wir sitzen auf Teppichen zwischen Kamelgehege und Zelt, der Gastgeber verschwindet und taucht nur auf, um Kaffee zu bringen. Musallim gibt uns Nachhilfe im Beduinen-Knigge: Wenn man genug getrunken hat, bewegt man die kleine Tasse zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Keinesfalls stellt man die Tasse auf den Boden, denn das hieße, dass der Kaffee nicht gut war oder dass man etwas vom Gastgeber wünscht, zum Beispiel seine Tochter.  Es ist schwierig zu schätzen, wie viele Beduinen heute noch in der Wüste leben, es sind wohl unter zehn Prozent der Gesamtbevölkerung Omans von 2,3 Millionen. Heute hat die Wüste jedoch auch andere Bewohner. In der Hoffnung auf ein wenig Schatten und kühles Wasser besuchen wir das Camp einer Ölfirma. Schon als wir aussteigen, weht uns ein neuer, doch vertrauter Geruch entgegen: frisch geschnittenes Gras! In einer Anlage, die an einen Klosterkreuzgang erinnert, wurde hier mitten in der Wüste ein surreal anmutender Luxus geschaffen. Ein Flecken Rasen mit einem Baum, von einem Gärtner liebevoll mit einer Schere gepflegt. Zuerst werden wir reserviert empfangen, doch als mitgeteilt wird, dass auch junge Frauen in der Gruppe sind, öffnen sich die Türen zu den klimatisierten Räumen. In diesem Stützpunkt zur Ölförderung und -forschung lebt ein reine Männergesellschaft von Omani, Indern, Pakistani und Europäern in absoluter Abgeschiedenheit. Die Europäer haben einen Turnus von einem Monat Arbeit und einem Monat Urlaub, die indischen und pakistanischen Gastarbeiter dagegen können nur einmal alle ein bis zwei Jahre ihre Heimat besuchen. 
Am nächsten Tag erreichen wir den berühmten Grenzstein des 55sten Längen- und 20sten Breitengrades. Hier macht die omanisch-saudische Grenze einen scharfen Knick nach Westen. Südlicher liegt die große Oase Mughshin, zu der Thesiger auf seiner ersten Expedition gelangte. Kurz nach Mughshin wenden wir, um zurück in den Norden zu fahren. Auf der Strecke nach Nizwa erscheint unverhofft Militär und Hunderte von Zelten. Es ist das Camp des Sultans, der sich gerade auf seiner jährlichen einmonatigen Tour durch das Land befindet, wo er seine Untertanen trifft und sich ihre Sorgen und Wünsche anhört. In welchem der grossen runden grünen Zelte hält er sich wohl auf? Wir werden es nie erfahren, denn wir gesellen uns nicht zu den Hunderten Omani, die in der Hoffnung auf eine Audienz ihre Zelte hier aufgeschlagen haben.

(c) Dora I.

Tourverlauf der Rub al-Khali-Tour und Fotos dazu

Bedu Expeditionen